Susanna Apitz-Tregl © 2010 • Impressum

Kurzgeschichten

 

Hier: Gruselkurzgeschichte nur für starke Nerven

Aktuell:

Weltreise Ägypten

Das Geheimnis

der schwarzen Katze

Mit dem Grauen unter einem Dach

Kennst Du das auch? Du sitzt abends gemütlich auf dem Sofa. Es ist ganz still im Haus. Nur gelegentlich ist das Knistern der brennenden Kerze auf dem Beistelltisch zu hören. Im Schein der Leselampe genießt Du einen spannenden Krimi. Die Schale mit den Chips neben Dir ist bereits völlig in Vergessenheit geraten, die Chips pappig. Die Apfelschorle im Glas auf dem Tisch vermag nur noch gelegentlich ein kraftloses Kohlensäurebläschen an ihre Oberfläche zu schicken. Das schlaffe Platzen der Blase erreicht Dein Ohr nicht mehr. Du bist längst eins geworden mit der Geschichte, Dein Körper nur noch eine Hülle, der Geist befreit, befreit durch das Lesen. Wie lange Du schon so versunken dasitzt, vermag nur die Wanduhr zu sagen, deren Pendel geduldig hin und herschwenkt, im selben Takt wie Dein Herzschlag. Da geschieht es plötzlich. Deine Augen reißen sich ruckartig vom Text los. Dein Blick wandert unsicher durch das Zimmer. Etwas ist anders. Du wagst kaum zu atmen. Jede Bewegung scheint tödlich zu sein. Der eben noch so freundliche Raum erscheint verschlagen: Die Flamme der Kerze züngelt bösartig. Die Leselampe blendet Dich. Die Apfelschorle braust giftig auf und das Pendel schlägt immer wilder hin und her. Die Stille, die Dich umgeben hatte, wird zerrissen vom Hämmern Deines Herzens. Und Du spürst, wie sich jedes einzelne Härchen widerborstig in Deinem Nacken aufstellt.

Da! Da war es wieder! Dein Verstand schreit Dich förmlich an: „Du spinnst!“ Doch Deine Augen beharren darauf etwas gesehen zu haben. Dein Herz sprengt jeden Moment Deinen einengenden Brustkorb. Deine Beine wollen davonlaufen. Das Zucken Deines Magens sagt Dir, dass Du beobachtet wirst. Und dann trifft Dich jäh die Gewissheit: Das Grauen hat sich in Deine Wohnung geschlichen. Es ist hier, bei Dir im Zimmer! Du kannst ihm nicht entkommen!

Im Zeitlupentempo erhebst Du Dich von dem Sofa, stets darauf bedacht, keine ruckartige Bewegung zu machen und ja keinen Laut von Dir zu geben. Du bückst Dich, ohne den Raum auch nur eine Hundertstelsekunde aus den Augen zu lassen. Deine Hand greift instinktiv nach Deinem Pantoffel und verkrallt sich so fest darin, dass Deine Finger schmerzen.

Doch bevor Du wirklich darauf vorbereitet bist, kommt es aus der Dunkelheit auf Dich zugeschossen, schwarz wie die Nacht und so groß, dass Dir der Atem stockt. Todesmutig holst Du aus und schlägst mit der Kraft eines Verzweifelten auf Deinen Angreifer ein. Erst einmal, dann noch einmal und schließlich immer und immer wieder, bis Du ganz sicher bist, dass sich Dein Gegner nicht mehr regt. Zitternd knipst Du das große Licht an. Da liegt der Eindringling vor Dir. Hingestreckt durch Deine Hand. Leblose Augen starren Dich vorwurfsvoll an. Dieser Anblick wird Dich nie wieder loslassen! Schuld schleicht sich kalt in Dein Gewissen: „Oh Gott, was habe ich getan?“ Doch Deine Reue muss warten. Denn erst musst Du die Spuren des Todschlages beseitigen, die Leiche verschwinden lassen.

Verschlagen schleichst Du in die Küche und besorgst Dir einige Hilfsmittel. Dann kehrst Du an den Ort des Grauens zurück. Angeekelt beginnst Du mit Deiner Arbeit. Doch diese toten Augen lassen Dich nicht los! Immer wieder musst Du sie anstarren. Du kannst Dich nicht entscheiden, in welches der vier Augenpaare Du als erstes sehen sollst. Dann reißt Du Dich endlich von dem Anblick los. Geschäftig kratzt Du acht dicke, schwarze, haarige, mehrfach gebrochene Beine vom Fußboden und legst sie ebenso behutsam in das Papiertaschentuch wie den zerschmetterten Rumpf Deines Opfers. Dann schleichst Du in der Dunkelheit in den Garten und vergräbst die tote Spinne unter dem Rhododendron. Morgen wirst Du ihr ein kleines Kreuz aus Zündhölzern basteln. Das passt so schön zu den anderen sieben Streichholzkreuzen in diesem Beet.

 

Susanna Apitz-Tregl